Statische Elektrizität und ihre Rolle als potenzielle Zündquelle in explosionsgefährdeten Bereichen
Statische Elektrizität als Gefahr
Statische Elektrizität kann auf unterschiedliche Arten beschrieben werden. Im Grunde handelt es sich dabei jedoch um Elektrizität, die an einem Ort gefangen ist und nicht abfließen kann. In einem normalen elektrischen Stromkreis bewegen sich die Ladungen, die den elektrischen Strom ausmachen, innerhalb eines geschlossenen Kreislaufs, um etwas Sinnvolles zu bewirken, wie z. B. die Stromversorgung eines Computers oder die Beleuchtung eines Hauses. In derartigen Stromkreisen kehrt die Ladung immer zu der Quelle zurück, aus der sie stammt. Bei statischer Elektrizität ist das anders. Da sie nicht Teil eines geschlossenen Stromkreises ist, kann sich statische Elektrizität direkt auf und in Anlagen, Geräten, Maschinen etc., von Tanklastzügen bis hin zu flexiblen Schüttgutbehältern, ansammeln.
Statische Elektrizität wird im Allgemeinen lediglich als lästiges Ärgernis betrachtet, doch in der Prozessindustrie kann sie eine Zündquelle darstellen. Elektrostatische Entladungen wurden als potenzielle Zündquelle für eine ganze Reihe von Prozessen identifiziert. Obwohl sie genau so wirksam wie mechanisch oder elektrisch erzeugte Zündfunken sind, werden sie häufig unterschätzt. Dies liegt entweder an einem mangelnden Gefahrenbewusstsein oder an Nachlässigkeit und/oder Gleichgültigkeit.
Gesetzliche Vorgaben im Hinblick auf statische Elektrizität in der Prozessindustrie
Verschiedene gesetzliche Vorgaben in Europa sowie in Nordamerika befassen sich mit Zündgefahren durch statische Elektrizität. Für Europa steht in Anhang II der ATEX-Richtlinie 2014/34/EU in Abschnitt 1.3.2 „Gefahren durch statische Elektrizität“: „Elektrostatische Aufladungen, die zu gefährlichen Entladungsvorgängen führen können, müssen durch geeignete Maßnahmen vermieden werden.“ Somit sind „elektrostatische Entladungen“ als potenzielle Zündquellen bekannt und müssen im Rahmen einer Bewertung des Explosionsrisikos Beachtung finden.
Im US-amerikanischen Code of Federal Regulations, einer Sammlung von Bundesrichtlinien, die sich u. a. auch mit Tätigkeiten in Gefahrenbereichen befassen, heißt es in 29 CFR Teil 1910 unter „Occupational Safety and Health Standards“ (Arbeitsschutzrichtlinien), dass alle potenziell in entzündlichen Atmosphären vorhandenen Zündquellen, inklusive statischer Elektrizität, gemindert oder unter Kontrolle gebracht werden müssen.
Abschnitt 10.12 der kanadischen Occupational Health and Safety Regulations (Arbeitsschutzrichtlinien) (SOR/86-304) besagt Folgendes: Wenn entzündliche Stoffe sowie statische Elektrizität als potenzielle Zündquelle vorliegen, muss der Arbeitgeber die „in der Publikation NFPA 77 „Recommended Practice on Static Electricity“ (Empfehlungen für den Umgang mit statischer Elektrizität) der United States National Fire Protection Association, Inc. enthaltenen Vorgaben umsetzen“.
Verfahrensrichtlinien innerhalb der Branche
NFPA 77 „Recommended Practice on Static Electricity“ (Empfehlungen für den Umgang mit statischer Elektrizität) ist eine der branchenspezifischen Verfahrensrichtlinien, die sich mit Zündgefahren durch statische Elektrizität befassen. Diese Schriften über Zündgefahren durch statische Elektrizität werden von technischen Fachleuten verfasst, die selbst in der Prozessindustrie tätig sind. Die folgenden Publikationen sollen QHSE-Beauftragte (zuständig für Fragen der Qualität, Gesundheit, Sicherheit und des Umweltschutzes) und Anlagentechniker/-ingenieure bei der Identifizierung und Eindämmung elektrostatischer Zündquellen unterstützen.
Die bereitgestellten Informationen entsprechen den Normen IEC TS 60079-32-1 „Explosive atmospheres – Part 32-1: Electrostatic hazards, guidance“ (Explosionsgefährdete Atmosphäre – Teil 32-1: Elektrostatische Gefährdungen – Leitfaden) und NFPA 77 „Recommended Practice on Static Electricity“ (Empfehlungen für den Umgang mit statischer Elektrizität). Die Informationen sind , z. B. unter www.IEC.ch und www.NFPA.org, frei zugänglich.
Hinweis: Mit der Erteilung dieser Auskünfte verpflichtet sich Newson Gale weder zur Erbringung professioneller oder sonstiger Dienstleistungen für oder im Namen einer natürlichen oder juristischen Person noch zur Erfüllung von Pflichten, die eine natürliche oder juristische Person gegenüber einer anderen Person hat. Personen, die diese Informationen verwenden, sollten sich auf ihr eigenes Urteilsvermögen verlassen oder gegebenenfalls den Rat kompetenter Fachleute einholen, um die für bestimmte Umstände angezeigte Sorgfalt in der Vorgehensweise zu bestimmen.
Liste von branchenweit gültigen Verfahrensrichtlinien für die Verhinderung von Zündungen durch statische Elektrizität
| Herausgeber | Titel | Metaller-dungskreise | FIBCs Typ C |
| International Electrotechnical Commission | IEC TS 60079-32-1: Explosive Atmospheres, Electrostatic Hazards – Guidance (Explosionsgefährdete Atmosphäre. Elektrostatische Gefährdungen – Leitfaden) | 10 Ω | 1 x 108 Ω |
| National Fire Protection Association | NFPA 77: Recommended Practice on Static Electricity (Empfehlungen für den Umgang mit statischer Elektrizität) | 10 Ω | 1 x 108 Ω |
| American Petroleum Institute | API RP 2003: Protection against Ignitions Arising out of Static, Lightning and Stray Currents (Schutz gegen Zündung durch elektrostatische Entladungen, Blitze und Streuströme) | 10 Ω* | N/A |
| American Petroleum Institute | API 2219: Safe Operation of Vacuum Trucks in Petroleum Service (Sichere Nutzung von Saugwagen in der Mineralölindustrie) | 10 Ω | N/A |
| International Electrotechnical Commission | IEC 61340-4-4: Electrostatic classification of Flexible Intermediate Bulk Containers (Einordnung flexibler Schüttgutbehälter (FIBC) in elektrostatischer Hinsicht) | N/A | 1 x 108 Ω |
*Laut API RP 2003 gelten 10 Ω als „ausreichend“
ANMERKUNG: Prüfen Sie bitte stets, ob Ihnen die neueste Ausgabe der internationalen Normen und/oder Verfahrensempfehlungen vorliegt..
Grundlagen der Gefahr
Wenn sich eine Flüssigkeit, ein Gas oder ein Pulver mit hohem spezifischem Widerstand während eines Prozesses elektrostatisch auflädt, kann die Substanz diese elektrostatische Ladung an elektrisch isolierte Anlagenteile, Geräte und Materialien abgeben, mit denen sie direkt in Kontakt kommt oder in deren Nähe sie sich befindet.
In genau so einem Szenario entsteht durch den im Verborgenen ablaufenden Spannungsanstieg des geladenen Objekts die Gefahr einer Zündung. Elektrostatische Funken entstehen durch eine schnelle Ionisierung der Atmosphäre zwischen dem geladenen Objekt und anderen Objekten mit geringerer Spannung. Wenn die Spannung des Objekts einen kritischen Wert über der Durchschlagspannung des Mediums zwischen dem geladenen Objekt C1 und dem ungeladenen Objekt C2 erreicht, kommt es zur Ionisierung. Als Folge entsteht ein leitender Kanal, über den die Ladungen die Strecke zwischen den Objekten in Form eines Funkens überwinden können.
Die für die Entladung verfügbare Gesamtenergiemenge kann mithilfe der unten aufgeführten Formel auf der Grundlage der Spannung (V) des Objekts sowie seiner elektrischen Kapazität (C) berechnet werden:
Mindestzündenergie (Beispiele)
Reale Szenarien
Wie in Abbildung 1 beschrieben ist, besteht das Ziel der Erdung in der Verhinderung eines Anstiegs der elektrostatischen Spannung während des Prozesses. Zu einer Aufladung kommt es, wenn der Widerstand zwischen den Anlagenteilen und der Erdmasse ausreichend hoch ist.
Die Verbindungen mit der Erdmasse sollten vor Ort über Erdungspunkte von hoher Integrität hergestellt werden. Diese Erdungspunkte von hoher Integrität bilden normalerweise Erdungspfade für Blitzschläge und Fehlerströme. Sie sollten jedoch auch für die Ableitung elektrostatischer Ladungen geeignet sein (Referenz: NFPA 77, Abschnitt 7.4.1.3.1).
Die Prüfung der Eignung und des ordnungsgemäßen Zustands von Erdungspunkten von hoher Integrität liegt im Verantwortungsbereich des Standortbetreibers. Dies muss von autorisiertem Fachpersonal regelmäßig verifiziert werden.
In den Tabellen 2a und 2b sind die Mindestzündenergiewerte einiger häufig vorkommender Flüssigkeiten und Pulver aufgeführt, die in der Prozessindustrie zum Einsatz kommen. Wenn ein Objekt elektrisch isoliert wird und seine elektrostatische Spannung steigt, dann kann die Ladung des Objekts schnell einen Wert erreichen, der über der Mindestzündenergie der Produkte liegt, und so zu einer Zündung dieser entzündlichen Stoffe führen.
Doch durch was kann eine solche Trennung bzw. Isolierung überhaupt hervorgerufen werden? Die Tabellen 3a und 3b nennen Beispiele für Objekte, die elektrisch isoliert sein können, und führen mögliche Ursachen auf.
Mitarbeiterschulung
Mitarbeiterschulungen sind essenziell und sollten nicht außer Acht gelassen werden. Mitarbeiter, die in Ex-Bereichen arbeiten, sollten in den Grundlagen statischer Elektrizität als potenzielle Zündquelle geschult werden, da sie es letztendlich sind, die die spezifizierten und am Standort installierten Erdungs- und Potentialausgleichssysteme nutzen und bedienen.
Sie sollten Schulungen über die Funktionsweise und korrekte Anwendung der Erdungssysteme erhalten und darüber informiert werden, an welcher Stelle die Verwendung der Erdungssysteme in den Verfahrensanweisungen des Unternehmens beschrieben ist. In den allermeisten Anwendungsszenarien (z. B. bei der Erdung eines Metallfasses) sollten sie zumindest den Grundsatz befolgen, dass der erste Schritt des Prozesses immer die Herstellung der Erdungsverbindung sein muss und dass die Erdungsverbindung erst nach Abschluss des Prozesses wieder aufgehoben werden darf.
Außerdem sollten die Mitarbeiter in der Vermeidung bestimmter Situationen geschult werden. Eine solche Situation wäre beispielsweise ein Erdungssystem, das mit dem Prozess verriegelt ist. Wird die Erdungsverbindung nun während des Prozesses unterbrochen, wird dadurch eine Notabschaltung des Prozesses eingeleitet (z. B. durch Abschalten einer Pumpe). Trotzdem können auch nach dem Stoppen der Maschine noch Materialbewegungen stattfinden, sodass möglicherweise weiterhin elektrostatische Ladungen erzeugt werden.
Wenn Mitarbeiter Veränderungen oder Beschädigungen der Anlagen und Systeme bemerken (z. B. ausgefranste Kabelverbindungen), sollten sie ermutigt werden, diese Punkte einem Standortverantwortlichen (d. h. einem Vorgesetzten, einem QSHE-Verantwortlichen (Bereich Qualität, Sicherheit, Gesundheit und Umwelt) oder dem Wartungsteam) zu melden. In diesem Fall dürfen die betreffenden Anlagen und Systeme erst dann wieder verwendet werden, wenn eine kompetente Person die Sicherheit und Eignung der Anlagen und Systeme bestätigt hat.
Wenn auf Schulungen verzichtet wird, besteht die Gefahr einer falschen Anwendung der Erdungssysteme bzw. der Nichteinhaltung der Verfahrensanweisungen in Bezug auf den Umgang mit statischer Elektrizität.
Allgemeine Verfahren und Mittel für Erdung und Potentialausgleich
Wenn Anlagenbetreiber die Erdung von Metallkonstruktionen für notwendig erachten, kann dies durch die Verbindung der Anlagen mit einem verifizierten Erdungspunkt realisiert werden.
Die durch den Standortbetreiber bereitgestellte Verbindung zum Erdreich muss in Bezug auf die Erdmasse ausreichend niederohmig ausgelegt sein. Verifizierte Erdungspunkte für die Erdung von Stromkreisen und zum Blitzschutz sind für die Nutzung im Zusammenhang mit elektrostatischen Ladungen mehr als ausreichend (NFPA 77, Abschnitt 7.3.1.6.1).
FIn Bezug auf den Widerstand zwischen dem Objekt, das über den verifizierten Erdungspunkt (z. B. fest installierte Sammelschienen) geerdet wird, und dem Erdungspunkt gelten weniger als 10 Ohm im Fall von Metall-zu-Metall-Kreisen als Benchmark. Diese Empfehlung basiert auf dem Konzept, dass Systeme, die gelöste Verbindungen oder Korrosion identifizieren, Widerstandswerte über 10 Ohm anzeigen. (IEC TS 60079-32-1 und NFPA 77, Abschnitt 7.3.1.6.1).
ODie Möglichkeiten für eine Spezifikation reichen von einfachen Klammern bis hin zu Erdungssystemen. Systeme mit Erdungsstatusanzeigen bieten den zusätzlichen Vorteil einer optischen Anzeige dahingehend, ob die Verbindung zum Metallobjekt, das geerdet werden soll, einen Widerstandswert von 10 Ohm oder weniger aufweist. Eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit besteht in der Verwendung eines Erdungssystems mit Verriegelungsfunktion. Für die Initiierung des Prozesses müsste dann eine Freigabe vorliegen, die über den Kontakt zwischen dem Erdungssystem und dem Prozess am Standort erteilt wird. Dies unterstützt das grundlegende Prinzip „zuerst anklemmen, zuletzt abklemmen“. So wird gewährleistet, dass die Erdung der Anlage immer der erste Prozessschritt ist.
Wenn das Erdungssystem eine Verbindung mit einem Widerstandswert von 10 Ohm oder weniger zwischen der Anlage und dem verifizierten Erdungspunkt feststellt, schaltet die Erdungsanzeige von rotem Dauerleuchten auf grünes Blinken um. Ein solches Erdungssystem überwacht den Widerstand zwischen dem zu erdenden Objekt und dem verifizierten Erdungspunkt am Standort, um zu gewährleisten, dass dieser maximal 10 Ohm beträgt. Dabei ist noch einmal zu betonen, dass das Erdungssystem einen Stromkreis zwischen dem zu erdenden Objekt und dem verifizierten Erdungsnetz des Standorts herstellt. Es prüft nicht, ob das Erdungsnetz selbst über eine Verbindung zur Erdmasse verfügt.
Der Standortbetreiber ist basierend auf den vor Ort geltenden Erdungs- und Blitzschutznormen zur Verifizierung dahingehend verpflichtet, dass das Erdungsnetz über eine ausreichend niederohmige Verbindung zur Erdmasse verfügt.
Wie bei jedem anderen Anlagenteil ist es wichtig, dass das Erdungssystem ordnungsgemäß im Einklang mit den Angaben in der Bedienungsanleitung installiert wird. Geschieht dies nicht, erlischt sowohl die Zertifizierung für Ex-Bereiche, die den sicheren Betrieb des Systems garantiert, als auch die Gewährleistung.
Erdungsverbindungen dürfen bei laufendem Prozess niemals unterbrochen oder aufgehoben werden. Auch dürfen sie nicht mehr hergestellt werden, wenn der Anwender das „Zuerst anklemmen“-Prinzip missachtet hat. Dies bezieht sich auf Fälle, in denen der Prozess bereits begonnen hat, bevor die Erdungsklammer angebracht wird. Das Anbringen der Klammer nach Prozessstart kann zu einer elektrostatischen Entladung führen.
